Eine kurze Geschichte des politischen Schwachsinns. Oder: Vom neoliberalen Kapitalismus

Post, Verkehr, Krankenversicherung und Rente: Mehr und mehr Lebensbereiche regelt "der Markt". Die Privaten können es halt besser. Doch stimmt es, dass Wohlstand, Freiheit und Demokratie tatsächlich vom freien Markt abhängen?

Margareth Thatcher ist die Vorreiterin eines Klassikers der neueren politischen Welt, der seinesgleichen sucht: „There Is No Alternative“ - besser bekannt unter dem Kürzel TINA und in Deutschland unter dem Merkelschen Begriff der „Alternativlosigkeit“.

Alternativlos ist die Neoliberalisierung der Gesellschaft anfangs (also Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre) in den Bereichen der Wirtschafts- und der Arbeitsmarktpolitik. Hier hat die noch Sozialdemokratische Bundesrepublik einige Jahre England und den USA zugeschaut und dann, nach der „geistig-moralischen Wende unter Kohl 1982, dem Einfluss neoliberaler Einflüsterungen nachgebend ebenfalls die Daumenschrauben der marktwirtschaftlichen Disziplinierung angezogen. Doch trotz des Blümschen Diktums „Die Rente ist sicher“, wurde allenthalben von der christliberalen Regierung empfohlen lieber „privat“ vorzusorgen. Dies geschah im Gleichschritt mit einem medial begleiteten Diskurs darüber, dass der Markt und damit die Privatwirtschaft sowieso die bessere Lösung für alle gesellschaftlichen Probleme vorhält. Bezeichnenderweise nach der Einführung des privaten Rundfunks.

So ging es dann los: die Privatisierung der Post und ihre Aufspaltung in die Deutsche Post AG, die Deutsche Telekom AG und die Deutsche Postbank AG. Neben der von allen begrüßten Senkung der Tarife ist ein Nebeneffekt eine – bis heute andauernde - Prekarisierung der Beschäftigungsbedingungen, wie zuletzt im letzten Sommer 2015 bei Paketdienststreik bei der DHL zu besichtigen war (der von ver.di viel zu früh und eigentlich ergebnislos beendet wurde) – der ein oder andere wird in Anbetracht dieser Entwicklung vielleicht den alten Post-Tarifen nachtrauern. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass es jetzt x Paketdienstleister gibt, die mit scheinselbständigen Selbstausbeutern einen Preiskrieg im heute sogenannten „Logistikgewerbe“ führen. Mit der Folge, dass diese Paketzusteller – heute wohl als Paketdienstleister zu bezeichnen – auch am späten Abend und Sonntags Pakete zustellen, da sie sonst weder mit der Arbeit nachkommen, noch von ihr leben könnten, wenn Sie ihre Arbeitszeiten nicht auf 70 Stunden und mehr die Woche ausgeweitet hätten. Der freie Markt hat all dies prima geregelt und zum Besseren gewendet.

Weitere Privatisierungsschritte wurden 1989 im Krankenversicherungssystem durchgeführt. Im Zuge der Gesundheitsreform wurde es im Gesundheitsreformgesetz auch Arbeitern und Angestellten gestattet sich vollständig privat zu versichern, deren Verdienst oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegen. Beamte und Selbständige wurden unabhängig vom Einkommen auf die private Versicherung verwiesen.1

Endlich wurden somit den gesetzlichen Krankenversicherungen alle die als Beitragszahler entzogen, die hohe Beiträge zahlen. Das nennt sich aus der Perspektive von CDU/CSU, FDP, SPD und B90/Die Grünen freie Marktwirtschaft und eine Reform des Gesundheitssystems. Anstatt alle in eine gesetzlichen Krankenversicherung einzahlen zu lassen und zwar einen prozentualen Anteil ihres Gehalts ohne Beitragsbemessungsgrenze, dürfen die mit viel Geld sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden. Anschließend wird gejammert, dass die gesetzliche Krankenversicherungen so viel Defizite machen.

In dieser kurzen aber nicht auf Vollständigkeit angelegten Übersicht darf natürlich auch die Privatisierung der Deutschen Bahn nicht fehlen, die 1994 vollzogen wurde. Die Konsequenz ist eine bis auf die IC und ICE Strecken unattraktive Bahn die noch dazu völlig überteuert ist. Gleichzeitig ist das Netz extrem ausgedünnt und marode. Die Konsequenz: seit 2013 ist in Deutschland der Fernbusverkehr liberalisiert worden, damit private Anbieter der Bahn Konkurrenz machen können das belebt ja bekanntlich das Geschäft. Dass der Bus im Vergleich zur Bahn ein idiotisches Transportmittel ist, ist dabei egal. Er steht in Staus auf vollen Autobahnen rum und Güter kann er auch keine transportieren. Statt in die Bahn zu investieren und ein alternatives Transportmittel zur Straße voll funktionsfähig zu erhalten – und zwar auch für die Menschen, die nicht so viel Geld haben, setzen die Bundesregierungen seit der Wende auf ein Kaputtsparen der Bahn bei gleichzeitiger Subventionierung des Luftverkehrs, des MIVs und nun auch der Fernbusse. Cui bono fragt sich der verwunderte Beobachter. Nach den Gehältern und Arbeitszeiten der Busfahrer soll hier lieber auch nicht gefragt werden.

Ende der 90er Jahre konnte man in Ansätzen schon einmal beobachten, wo dieser Privatisierungswahn hinführen soll: es wurden Inhalte des geheim verhandelten „Multilateral Agreements on Investment“ (MAI) bekannt und ein europaweiter Entrüstungs- und Proteststurm nahm den europäischen Regierungen, die dieses Abkommen mit den USA verhandelten den Wind aus den Segeln. Es verschwand still und leise in den Schreibtischschubladen. Aber: Das MAI enthielt die Blaupausen für das GATS, TTIP, CETA, Tisa etc. die nun ja aktuell sind.2

Was ist der Gegenstand dieser Abkommen? Vereinfacht gesagt beinhalten diese Abkommen die völlige gegenseitige Marktöffnung der Vertragsparteien. Betroffen sind davon alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens (Bildungssystem, Krankensystem, Rentensystem, Sozialsystem etc.), die von dieser Marktöffnung betroffen sein können. Hinzu kommt: Verschärft ein Land nach Abschluss eines solchen Freihandelsabkommens seine Gesetze, so kann ein privater Investor, dem nun das Geschäft zu schwierig und zu wenig gewinnbringend vorkommt, diesen Staat auf Schadensersatz für zukünftig entgangene Gewinne verklagen. Auf gut deutsch heißt das, dass der Staat mit Unterzeichnung dieser Freihandelsabkommen zukünftigen Parlamenten ihr ureigenstes Recht auf seine legislative Arbeit beraubt. Und dies zugunsten privatwirtschaftlicher Gewinninteressen, die in keinem positiven Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl der Bürger steht – eher im diametralen Gegensatz.

Am Ende muss man feststellen, dass die Idee der Privatisierung und die Idee, alle Bereiche der Gesellschaft nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu organisieren, nur dazu führt, dass einige Großunternehmen, wie z.B. Bertelsmann, Siemens, Nestlé, VW, das Monopol auf alle zukünftigen Gewinne bekommen und der große Rest sich deren zukünftigen Diktatur des Monopol- bzw. Oligopolkapitals beugen muss. Man kann das an den Löhnen im Logistikgewerbe, der (kleinbäuerlichen) Landwirtschaft, den Pflege- und Bildungsberufen etc. sehen. Aber auch an der Prekarisierung der Arbeit selbst in akademischen Berufen (Ingenieure, Wissenschaftler, Journalisten) die natürlich auch mit einer Lohndrückerei einhergeht. Was ist damit gewonnen?

Während immer weniger immer mehr einheimsen und sich dadurch Macht und Einfluss kaufen (Medienmonopole, Stiftungen, Think Tanks etc.) wird die große Masse nach unten durchgereicht. Wer prekär lebt und jeden Auftrag annehmen muss, der wird nicht noch die Energie haben, politisch aktiv zu sein, Opposition zu betreiben und sich zu wehren. Jeder hofft – so hat es den Anschein – dass es ihn nicht treffen werde. Doch, wie man die letzten 15 Jahre beobachten konnte, trifft diese Entwicklung immer größere Teil der Bevölkerung. Auch solche Bevölkerungsgruppen, von denen man es nie erwartet hätte, wie Lehrer und Ärzte. Der Anteil der Menschen, die Vollzeit (und mehr) arbeiten, aber davon nicht mehr leben können steigt stetig. An eine auskömmliche Rente ist nicht mehr zu denken. Nichtsdestotrotz ist von unserer aktuellen Bundesregierung nichts weiter zu hören, als dass sie das Zwangsregime Hartz IV mit noch schärferen Sanktionen belegen möchte, TTIP prima sei, und auch gegen Tisa nichts spreche. In Anbetracht der vielen Flüchtlinge aber die „Schwarze Null“ in Frage zu stellen, das geht auf gar keinen Fall. Da bieten sich die Flüchtlinge viel mehr dazu an, den Mindestlohn wieder auszuhebeln. Ins Bild passt hier, dass ein wichtiger Fluchtgrund in vielen Ländern des globalisierten Südens der globale Kapitalismus ist, der den Kolonialismus in Gestalt von Freihandelsabkommen wiederholt und die Menschen in diesen Ländern völlig ohne wirtschaftliche Perspektive zurücklässt.

Es ist an der Zeit auf breiter Linie Front zu machen gegen diese idiotische und zwanghafte Privatisierung aller Lebensbereiche und dem mantrahaften Wiederholen der Faustformel, dass aller Wohlstand und die Freiheit wie auch die Demokratie von der Marktwirtschaft abhängt, ja Freiheit und Demokratie geradezu verwachsen sind mit dem freien Markt.

Das Gegenteil ist der Fall, der Kapitalismus und das Privateigentum an Produktionsmitteln hat schon in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gezeigt, wozu es letzten Endes imstande ist: die völlige Spaltung der Gesellschaft in ein paar wenige Reiche und viele Arme, die Zerstörung des Mittelstandes und die Krisenbekämpfung durch das Anzetteln von Kriegen, die natürlich die Armen kämpfen dürfen, um somit die Wirtschaft zu beflügeln und geostrategische Einflusszonen zu sichern.

Das kommt einem bekannt vor? So war es schon immer. Das erstaunliche daran ist, dass heute schon wieder so viele mitziehen und für die Aufrüstungsrhetorik und das Zeichnen von Freund-Feindbildern entlang traditioneller Linien empfänglich sind.

Es ist an der Zeit, dass all jene, die in der Prekarisierungsfalle hängen und zu den Verlierern des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts gehören, in den Generalstreik treten, der Kriegsrhetorik und der Fremdenfeindlichkeit sich entgegenstellen und den Kapitalisten entschieden gemeinsam und solidarisch entgegentreten. Nur so kann die neoliberale Alternativlosigkeit zurückgedrängt werden und die Verhältnisse nachhaltig verändert werden. Da helfen keine sozialdemokratischen Reformen mehr.

Tobias Bevc

1Die Geschichte der privaten Krankenversicherung

http://www.info-krankenversicherung.net/a-005-weiteres-zur-pkv/geschichte-pkv.php, letzter Zugriff: 16.02.2016.rch

2Vgl. Freihandelsabkommen, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Freihandelsabkommen, letzter Zugriff 16.02.2016.